Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz 1996/1997


Der Schäfer: Landwirt und Landschaftspfleger

Eberhard Mayer
Biotopkartierer Filderstadt

Ruhig seine Herde beobachtend, auf seinen Stab gestützt, steht der Schäfer am Rand einer Wiese. Ein idyllisches und zugleich friedliches Bild, das uns bereits aus Kindheitstagen vertraut ist. So romantisch, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist aber der Arbeitsalltag des Schäfers keineswegs. Vielmehr bedeutet die Schäferei tagein, tagaus harte Arbeit, denn die Herdentiere kennen kein Wochenende und keinen Feiertag und müssen gefüttert und beaufsichtigt werden.

Schafhaltung und Schäferei stellen eine besondere Form der Landwirtschaft dar. Sie waren und sind aber auch ein bedeutender Teil der Landschaftspflege, denn ohne den Schäfer und seine Herde lassen sich bestimmte, traditionelle Kulturlandschaften wie Wacholderheiden und Waldweiden nicht mehr aufrechterhalten.

Zwei Schäfereien gibt es auch heute noch in Filderstadt (eine dritte kommt, allerdings nur im Winterhalbjahr, ins Bernhäuser / Echterdinger Gebiet). Grund genug also, sich mit ihnen und ihrem Alltag etwas näher zu beschäftigen.

Schafhaltung in der Geschichte

Das Schaf gehört zu den ältesten europäischen Haustieren; die Schafhaltung und der Beruf des Schäfers sind nicht erst in der Bibel erwähnt, sondern bereits in griechischen und römischen Quellen (also in der antiken Welt). In Mitteleuropa gab es zunächst eine bäuerliche Schafhaltung, die sich am Eigenbedarf orientierte. Ab dem 13. bzw. 14. Jahrhundert, mit der Entwicklung und Ausbreitung des Städtewesens sowie dem Anwachsen der Bevölkerung, wurde dan eine Schafhaltung über den Eigenbedarf hinaus erforderlich: im Mittelpunkt standen der Fleischbedarf und vor allem die Wollproduktion. Als Blütezeit der Schafzucht galten das 18. und 19. Jahrhundert, die Zeiten des sogenannten "Goldenen Vlieses". Aber am Ende des 19. bzw. am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die europäische Schafzucht immer unrentabler, als die stark intensivierte Anbauwirtschaft begann und der Import überseeischer Wolle aus Australien und Amerika einsetzte. Statistische Zahlen belegen diesen Niedergang: kamen in Deutschland im Jahr 1873 noch 60 Schafe auf 100 Einwohner, so waren dies 1900 nur noch 17 Schafe und 1912 sogar nur noch 8,7 Schafe!

In Baden-Württemberg, dem nach Bayern zweitreichsten "Schafland" der Bundesrepublik Deutschland, gab es 1994 ca. 270.000 Schafe, die von etwa 9.000 Schafhaltern gehalten wurden. Darunter waren aber nur ca. 300 hauptberufliche Schäfer, die allerdings rund zwei Drittel des Gesamtschafbestandes besaßen.

Auch in den Filderstädter Ortsteilen hat die Schafhaltung eine lange Tradition. Historisch am interessantesten ist hier sicherlich der herrschaftliche Schafhof in Bonlanden, der bereits im 15. Jahrhundert unter Graf Ulrich von Württemberg gegründet wurde und einen Weidebezirk von 14 umliegenden Ortsmarkungen umfasste. Er hatte bis etwa 1842 Bestand; zuvor war bereits im Jahr 1821 die herrschaftliche Schafweide an die übertriebspflichtigen Gemeinden verpachtet worden. Daneben gab es zum Teil Gemeinde-Schafherden, welche die nicht zum Schafhof gehörigen Güter und die Waldweiden zu befahren hatten. Im Jahr 1850 kamen in den heutigen Filderstädter Ortsteilen 1.927 Schafe auf 6.360 Einwohner; 1994 waren es noch 1.135 Schafe bei ca. 40.000 Einwohnern!
Bis nach dem 2. Weltkrieg existierten noch private Schäfereien in Bernhausen, Bonlanden, Plattenhardt und Sielmingen; nur im Ortsteil Harthausen bestand keine eigene Schafhaltung.

Die Schafhaltung als Teil der Landwirtschaft

Die Schäferei ist überwiegend eine Form der Weidewirtschaft, die sowohl auf Wiesen als auch auf (abgeernteten) Feldern ausgeübt wird. Hinzu kommen landwirtschaftlich uninteressante Flächen wie Heiden, Magerrasen usw. In der Zeit zwischen März und November, also in der Zeit der Vegetation bzw. der "warmen" Jahreszeit, werden eigene oder gepachtete Grundstücke beweidet. Von Martini (11. November) bis März dürfen dagegen nach alter Tradition alle Wiesen und Felder (ausgenommen Wintersaat) durch den Schäfer "befahren" werden.

Zweimal im Jahr muß eine Heuernte eingebracht werden, um Zusatz- und Winterfutter für die Herde zu gewinnen. Da dies parallel zur Hütearbeit erfolgen muß, ist es nur mit Maschineneinsatz und teilweise mit zusätzlichen Arbeitskräften zu bewältigen.

Als Betriebsformen kennt man bei uns vor allem die Wanderschafhaltung und die Standschäferei. Während bei der Wanderschafhaltung jahreszeitlich bedingte Herdenwanderungen stattfinden (z.B. in Baden-Württemberg: sommers auf die Schwäbische Alb, winters in die milderen Tallagen), besteht die Standschäferei aus einer Kombination von freier Weide und Stallfütterung. Bei den Betriebsformen unterscheidet man außerdem nach Haupt- oder Vollerwerb und nach Nebenerwerb. Üblich ist, wie in den meisten landwirtschaftlichen Betrieben, daß die gesamte Familie in der Schäferei mitarbeitet.

Welche Nutzungsmöglichkeiten und welche landwirtschaftlichen Produkte bietet nun die Schafhaltung? Heutzutage sind das vor allem die Fleisch-, Fell- und Wollproduktion, aber auch die Milchverarbeitung und - nicht zu vergessen - der Schafdünger:

Fleischkonsum: gewinnt auch in Deutschland langsam mehr an Bedeutung. Sehr beliebt ist Schaffleisch in den Mittelmeerländern und bei den islamischen Völkern.

Fellverkauf: Der Kauf von Fellen direkt beim Schäfer erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Neben dem Verkauf von Lammfleisch ist dies eine zusätzliche Chance der Direktvermarktung und Einkommenssteigerung.

Wollproduktion: Sie ist zur Zeit für unsere heimischen Schäfer nicht rentabel, denn der Marktpreis je Kilo Wolle beträgt nur noch einen Bruchteil des früheren Werts.


Die qualitativ beste Wolle liefern die Merino-Schafrassen, die um 1780 aus Spanien bis in die kleinsten deutschen Fürstentümer eingeführt wurden.

Milchverarbeitung: Früher war das Schaf (neben der Ziege) die "Kuh des kleinen Mannes". Heute spielt die Milchwirtschaft bei uns nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin gibt es aber auch in Deutschland hergestellten Schafskäse zu kaufen.

Dünger: Schafdünger ist reich an Phosphorsäure, Kalk und Harnstickstoff. Er dient auch heute noch der Bodenverbesserung durch Beweidung. Vor allem geschieht das planmäßige Düngen durch "Pferchen": dazu werden die Schafe während der Ruhezeit auf einem zu düngenden Feld oder Wiese in eine Umzäunung gesperrt (Dauer: eine oder mehrere Nächte). In früherer Zeit erhielten die Schäfer dafür Nahrung und Hundefutter, später wurde das Pferchgeld als Entlohnung eingeführt.
Die traditionelle Dreifelderwirtschaft war noch bis ins 19. Jahrhundert stark vom Schafdünger für die Brache abhängig!

Schafhaltung und Landschaftspflege

Schafverbiß und Schaftritt sind so intensiv, daß sie sich z.B. bei Wacholderheiden landschaftsprägend auswirken. Das weiche Schafmaul kann nahezu alle Pflanzen so dicht über dem Erdboden erreichen und abfressen, daß nur die wenigsten Gräser und Kräuter in der Lage sind, flach am Boden weiterzuwachsen oder durch ihre Struktur (Stacheln usw.) dem Schafverbiß zu entgehen. So entsteht auf den stark beweideten Flächen eine charakteristische Flora (z.B. Orchideen, Silberdistel, Küchenschelle, Wacholder), meist sogar eine eigene Landschaftsform innerhalb der Kulturlandschaft.

Ziel der Landschaftspflege ist es vor allem, die Kulturlandschaft in zeitgemäßer - und nicht in musealer Form! - zu erhalten und zu pflegen. Zur Kulturlandschaft gehören z.B. Streuobstwiesen und historische Weinberge, aber auch Wacholderheiden und traditionelle Schafweiden. Letztere können auf Dauer nicht mehr durch ehrenamtliches Wochenend- oder Freizeitengagement, sondern nur durch Schafbeweidung vor natürlicher Verbuschung bewahrt werden.

Obere Landesbehörden, Kreis- und Gemeindeverwaltungen versuchen zunehmend, die Schäfer in den Naturschutz und in die Landschaftspflege aktiv einzubeziehen. Dies sichert - wie bereits erwähnt - einerseits den Erhalt selten gewordener Landschaftsteile, andererseits hilft es den nicht gerade begüterten Schäfereien bei der Existenzsicherung. Dazu gehören nicht nur Entgeltzahlungen, sondern auch Maßnahmen zur Sicherung der Weidegründe und Bezuschussung von Stallbauten, Pferchen, Tränken usw. Daß die Unterstützung durch die Öffentliche Hand berechtigt ist, beweist die Tatsache, daß in Baden-Württemberg mehr als 60.000 Hektar von Schafen kostengünstig, umweltfreundlich und energiesparend gepflegt werden. Wären diese Flächen mechanisch zu pflegen, entstünden dafür Kosten in Höhe von ca. 30 Millionen DM pro Jahr (= etwa 500 DM pro ha). Dies wäre ein Vielfaches dessen, was im Rahmen von Förderprogrammen den Schafhaltern zugute kommt.

Nicht vergessen werden darf, daß auch Mager- und Halbtrockenrasen, Feldraine, Koppelwege, Straßengräben, Böschungen und anderes Ödland durch Schafbeweidung "gepflegt" wird! Dies gilt selbstverständlich auch für die Verhältnisse hier in Filderstadt.

Die heutigen Filderstädter Schäfer

1. Die Schäferei Weinmann in Plattenhardt

Seit über 150 Jahren besteht die Schäferei Weinmann in Plattenhardt. Karlheinz Weinmann, der heutige Besitzer, übernahm den elterlichen Betrieb Mitte der 1970er-Jahre und ist hauptberuflicher Schäfer. Die Weinmanns sind "uralte Platterter"und aus dem Dorfbild nicht mehr wegzudenken.

Bis zum Jahr 1962 befand sich der Weinmann'sche Schafstall im Zehnthof in der Uhlbergstraße 26, einem großen, traditionsreichen Anwesen mit einem Stall für bis zu 200 Schafe. Wegen der damaligen Ortskernsanierung mußte die Schäferei an den Ortsrand "umziehen", und zwar in den neuen Schafstall auf den Lailensäckern. Daneben besitzen die Weinmanns noch einen Schlachtraum und kleinen Stall in der Schönbuchstraße, einen weiteren kleinen Stall im Bonländer Oberdorf sowie ein größeres Stallgebäude in Aich.
In Kürze steht der Schäferei vermutlich eine neue "Wanderung" bevor. Wegen einer Baulandumlegung soll der jetzige Schafstall in den Lailensäckern aufgegeben werden; ein neuer Schafhof ist in der Nähe geplant.

Früher, bis etwa 1976, war die Schafherde etwa 200 Tiere groß. Heute gehören rund 600 Schafe zur Herde der Familie Weinmann: dazu zählen 4 Böcke und etwa 320 Mutterschafe, der Rest sind Jährlinge und Lämmer (Mutterschaf wird man erst ab ungefähr 1 1/2 Jahren Lebensalter!). Die Herde setzt sich aus verschiedenen Schafrassen zusammen: Merinolandschaf, Suffolk- und Texel-Rasse.

Die Schafhaltungsform ist eine Art Wanderschäferei im Umkreis von etwa 20 km. Im Sommer zieht die Herde hauptsächlich in Richtung Aich, Neuenhaus und bis hoch nach Walddorf, wo aber auch ganzjährig geweidet werden darf. Während der kalten Jahreszeit werden dagegen überwiegend Wiesen und Felder in Plattenhardt und Bonlanden befahren. Schäfer Weinmann besitzt 3 - 4 ha eigenes Weideland und ca. 100 ha Pachtflächen.
Während die große Herde umherzieht und auch meist im Freien übernachtet, sind regelmäßig etwa 30 Schafe im hiesigen Stall "beherbergt". Grund dafür: in der Lammzeit verbleiben Mutterschafe und neugeborene Lämmer etwa 2 - 3 Wochen lang im Stall.
Neben dem Schäfer Karlheinz Weinmann hütet auch sein Gehilfe, Schäfer Rico aus Franken, seit 11 Jahren über die Herde. Bestens assistiert werden beide durch ihre Hütehunde: alle vier sind "Altdeutsche Schäferhunde" und wurden durch den Schäfer selbst ausgebildet.

Die Hauptnutzung der Plattenhardter Schafhaltung besteht in der Fleischproduktion. Der Direktverkauf des Schaffleischs an türkische, griechische, italienische und wenige deutsche Familien bringt das meiste Geld ein; etwa 70 Schlachtungen erfolgen pro Monat. Verkauft werden auch schöne, gegerbte Schaffelle.

Einmal im Jahr, und zwar Mitte Mai, ist für Marta Weinmann, die Mutter des heutigen Schäfers, immer noch ein Festtag: dann kommt eine in Baden-Württemberg umherziehende Kolonne von 6 Mann zur Schur nach Plattenhardt und schert an einem Tag alle über 6 Monate alten Schafe. Die Schur ist teuer (ca. 2.000 DM pro Tag), die Wollerlöse von etwa 1.000 DM dekken die Kosten nicht mehr. An der Wollproduktion ist heute also nichts mehr verdient; sie ist ein Zuschußgeschäft!

Auch die Schafwäsche findet einmal im Jahr statt, etwa zwei Monate nach der Schur. Dazu kommt ein Bademeister mit seinem LKW auf die Lailensäcker und "weicht die Schafe durch".

Das Pferchen brachte früher zwischen 7 und 15 DM pro Nacht ein. Heute wird fast nur noch auf Gemüsefeldern gegen ein geringes Entgelt gepfercht.

Neben der Schafzucht hält Familie Weinmann kein weiteres Vieh (auch früher nicht!). Heute wird nur noch Grünlandwirtschaft als Schafweide und zur Heugewinnung betrieben. Bis vor zwei Jahren wurden auch noch einige Äcker bewirtschaftet (Kartoffeln, wenig Getreide).

Die Haberschlai-Heide in Bonlanden und die ehemaligen Heideflächen beim Altenheim St. Vinzenz in Plattenhardt werden heute durch den Schwäb. Albverein Bonlanden und durch die Biotopkartiergruppe mit großem Einsatz gepflegt bzw. renaturiert. Diese heutigen und früheren Filderstädter Heideflächen (z.B. auch im Sandbühl in Bonlanden) werden darüberhinaus noch 3 - 4mal jährlich durch Schäfer Weinmann befahren. Weitere Mager- und Halbtrockenrasen, z.B. auf der Gutenhalde und im Bechtenrain, werden ebenfalls beweidet. Dies ist ein bisher kostenloser Beitrag zur Filderstädter Landschaftspflege!

"Die Schäferei ist kein Honigschlecken", erzählen die Weinmanns. Jeden Tag Arbeit von morgens bis abends, kein Wochenende und kein Urlaub! Trotzdem sind alle mit Leib und Seele dabei und klagen nicht über ihr Los. "Wenn bei uns keine Ausländer wären, gäbe es auch keinen Plattenhardter Schäfer mehr!" sagt Marta Weinmann nachdenklich. Die Familie wünscht sich, daß der Schäferbetrieb weitergeht und "daß die Zeiten nicht schlechter werden". Der Jüngste der Familie, ihr Enkelsohn Sven, absolviert gerade eine Metzgerlehre und soll später einmal den elterlichen Betrieb weiterführen. Hoffen wir, daß er die Familientradition fortsetzen wird und daß damit Plattenhardt eine Institution und Attraktion erhalten bleibt!

2. Der Schafhof Hertler in Sielmingen

Seit etwa 6 Generationen, also seit rund 200 Jahren, betreiben die Hertlers ihre Schäfereien in Sielmingen und Umgebung. Der heutige Besitzer, Schäfermeister Kurt Hertler, übernahm den Betrieb im Jahre 1984 von seinem Vater Gottlob. Auch der Onkel war Schäfer in Sielmingen und dessen Sohn Dieter kommt heute noch zur Winterweide von der Alb in den Bernhäuser und Echterdinger Raum. Kurt Hertler setzt also im wahrsten Sinne des Wortes eine lange Familientradition der Sielminger Schäfer fort.

Früher war die väterliche Schäferei in einem Gemeindestall neben dem Gasthaus-Metzgerei zum "Faß" untergebracht. Als 1964 dieses Gebäude im Rahmen der Ortskernsanierung abgerissen wurde, baute Vater Gottlob Hertler seinen Schafstall im Gewann "Weiler", unterhalb dem damaligen Sielminger Sportplatz und heutigen Verkehrsübungsplatz. 1979 wurde dieses Stallgebäude erweitert, 1983 entstand der jetzige Schafhof und 1989 erstellte man nebenan ein Wohnhaus.

Im heutigen Stallgebäude können bis zu 1.000 Schafe untergebracht werden. Daneben besitzen die Hertlers noch einen Gemeindestall in Neckartenzlingen und einen kleineren Stall auf der Sommerweide am Roßberg (bei Gönningen).

Als Kurt Hertler 1984 die Schäferei übernahm, zählte sie unter anderem 350 Mutterschafe. Heute gehören rund 900 Tiere zur gesamten Herde: 5 Böcke, etwa 550 Mutterschafe sowie rund 350 Jährlinge und Lämmer. Unter den Tieren sind Merinolandschafe sowie Suffolk- und Texel-Rassen vertreten.

Die Schafhaltungsform der Familie Hertler ist noch eine echte Wanderschäferei im Umkreis von bis zu 40 km. Seit etwa 30 Jahren zieht die Herde im Sommerhalbjahr von Sielmingen aus zum Roßberg bei Gönningen, wo sie von Ende April bis Ende Oktober städtische Grundstücke und ein Truppenübungsgelände des Bundes gegen Pachtgeld beweidet. Während der Sommerzeit auf der Schwäbischen Alb übernachtet die Herde im Freien; nur etwa 30 bis 50 Schafe - meist Schlachttiere - sind währenddessen im Sielminger Stall untergebracht.

Im Winterhalbjahr (ab Ende Oktober) zieht die Herde wieder zurück nach Sielmingen. Neben dem heimatlichen Sielmingen wird im Winter auf folgenden Markungen geweidet: Neuhausen (hälftig), Wolfschlugen, Oberensingen, Nürtingen (hälftig), Neckarhausen, Neckartenzlingen und Altenriet. Dazu wird die Herde getrennt nach hochtragenden Tieren, die mehr in der Nähe Sielmingens bleiben, und nach den restlichen Tieren, die meist das ganze Jahr im Freien verbringen. Zum Ablammen kommen die Mutterschafe zurück in den Sielminger Stall, wo sie einige Zeit verbleiben und in der Nähe gehütet werden.

Für seine Herde hat Kurt Hertle nur 1 Schäfer zusätzlich angestellt, der mit der großen Herde natürlich stark ausgelastet ist. Vor allem im Winter wird er beim Hüten durch den "Chef" Kurt Hertler und dessen Vater unterstützt. Mithelfen muß jedoch die ganze Familie, denn die Schäferei bedeutet jahraus, jahrein harte Arbeit. Für die Hütung der Schafe werden noch vier altdeutsche Schäferhunde eingesetzt, die alle selbst ausgebildet wurden.

Die Fleischproduktion stellt im Sielminger Schafhof den Haupterwerbszweig dar. Über Direktvermarktung werden ganze und halbe Lämmer, oder auf Wunsch kiloweise Lammfleisch an die überwiegend ausländischen Kunden verkauft; zunehmend findet das Lammfleisch auch bei deutschen Familien Interesse. Geliefert wird teilweise auch an Metzgereien; daneben bietet Schäfer Hertler seinen Kunden noch verschiedene selbstgemachte Wurstsorten an.

Neben dem Fleisch werden Schaffelle in verschiedenen Größen und Ausführungen direkt vermarktet: z.B. als Bettvorleger, für Autositze sowie als medizinische Baby- und Bettfelle. Schaffelle bietet Frau Hertler u.a. auch auf dem Weihnachtsmarkt an.

Die Schafschur findet im Sielminger Schafhof zweimal jährlich statt: eine erste Schur erfolgt Ende Februar für Mutterschafe, die bereits gelammt haben. Die zweite Schur folgt dann Anfang April für die restlichen Zuchttiere und Lämmer, die mindestens 3 Monate alt sind. Dazu wird ei-ne Kolonne mit 4 Scherern verpflichtet, von denen jeder etwa 100 bis 130 Tiere pro Tag "schafft". Pro ausgewachsenem Schaf fallen ca. 4 - 5 kg Wolle an; der Wollerlös ist jedoch zur Zeit sehr niedrig. Normalerweise lohnt sich die Wollproduktion heute nicht mehr, weshalb man überwiegend auf Fleischproduktion umgestiegen ist.

Die Schafwäsche incl. Desinfizierung wird einmal jährlich, etwa 2 - 3 Monate nach der Schur, durchgeführt. Sie dient der Bekämpfung von Außenparasiten (z.B. Läusen), die sich in der Wolle oder direkt auf der Haut der Tiere aufhalten. Zur Schafwäsche wird eine Spezialbadeanlage auf einem Tandemanhänger verwendet. Der Gesundheitsvorsorge und -pflege dient auch die Wurmkur, die zur Bekämpfung von Innenparasiten durchgeführt wird. Sie findet bei Alttieren zweimal jährlich, bei Lämmern bis zu vier-mal jährlich nach Bedarf statt.

Gepfercht wird heute nur noch auf besondere Anforderung, was aber relativ selten geschieht. Früher wurde der Pferch alle 2 Wochen auf dem Sielminger Rathaus verkauft; das Pferchen brachte der Gemeindekasse zusätzliche Einnahmen zum Pachtgeld des Schäfers.

Neben der Schafhaltung baut Familie Hertler noch Kartoffeln und Kraut, aber auch das gesamte Winterfutter für die Herde (Heu, Getreide, Silage) selbst an. Vor vier Jahren wurde der landwirtschaftliche Betrieb auf biologischen Anbau umgestellt; dazu wird der gesamte Schafmist aus dem hiesigen Stall auf den eigenen Grundstücken verwertet. Die Erzeugnisse, vor allem Kartoffeln und Kraut, werden selbst vermarktet (überwiegend Hofverkauf).

Im Bereich der Landschaftspflege ist Schäfer Hertler auf zwei Ebenen bzw. Gebieten tätig:

  • Auf der Schwäbischen Alb und im Vorland beweidet er landschaftstypische Flächen, wozu er Pflegeverträge mit der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege in Tübingen sowie mit dem Landratsamt Esslingen abgeschlossen hat. Beispielsweise dürfen bestimmte Gebiete auf dem Roßberg erst ab Ende Juli wegen seltener Orchideen befahren werden.
  • In Filderstadt pflegt er im Auftrag der Gemeinde verschiedene städtische Grundstücke sowie Randstreifen, Böschungen, Gebiete um Wasserreservoire usw. Dies erfolgt teilweise mit Maschineneinsatz (Mähen, Mulchen), im Winter aber auch durch Beweidung.

Wie schätzt nun Familie Hertler die aktuelle Situation ein und was denkt sie über die Zukunft? Kurt Hertler meint, daß "das ewige Jammern nichts hilft". Durch die Erlöse aus der Fleisch- und Fellproduktion und dank der abgeschlossenen Pflegeverträge komme man über die Runden. Die Lage in Filderstadt - am Rande der Großstadt - ist jedoch wegen der Zerstückelung vieler Grundstücke durch Straßenbau oder Wohngebiete für einen Schäfer nicht mehr ideal. Es gibt dadurch zuviele Gefahrenstellen (besonders kritisch ist die Überquerung der "Rennstrecke" beim Schafhof, nämlich die Straße nach Wolfschlugen); heutzutage würde er seinen Hof wohl nicht mehr in Sielmingen bauen!
Ansonsten gilt das Zukunftsmotto: Weitermachen wie bisher, in der Hoffnung, daß die Zeiten nicht schlechter werden. Ob der eigene, noch junge Nachwuchs die Familientradition als Schäfer fortsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Literatur:

BACK, N. (1994): Die Landwirtschaft in Sielmingen im 19. und 20. Jahrhundert. - In: 100 Jahre Sielminger Bank. Filderstadt.
BÖHRINGER, W. (1970): Der Schafhof und seine Träger. - Heimatbuch Bonlanden auf den Fildern. Bonlanden a.d.F.
BUND-NATURSCHUTZZENTRUM (1994): Schäferland. Für den Erhalt einer alten Kulturlandschaft am Rande des Nordschwarzwaldes. - Stiftung Naturschutzfonds Baden- Württ. - Pforzheim.
HERZHAUSER, G. (1993): Der herrschaftliche Schafhof in Bonlanden. - Filderstädter Schriftenreihe zur Heimat- und Landeskunde, Band 8. Filderstadt.
JACOBEIT, W. (1987): Schafhaltung und Schäfer. - Akademie-Verlag, Berlin.
KÖNIGL.-TOPOGR. BUREAU (1851): Beschreibung des Oberamts Stuttgart, Amt. - J. B. Müller's Verlagshandlung. Stuttgart.
MATTERN, H. (1991): Heiden, Felsen, Steinriegel. - Schriftenreihe Naturschutz im Kleinen. - Heft 8. Landesgirokasse. Stuttgart.
QUELLEN (1980, 1990, 1994): Filderstadt in Zahlen. - Hg. von der Stadt Filderstadt.


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