Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz 1995/1996


Wattenmeer auf den Fildern ?

Eberhard Mayer
Biotopkartierer Filderstadt

Ein Meeresstrand, ein Wattenmeer auf den Fildern?

Sofort wird jeder sagen: Das gibt es doch gar nicht, das ist frei erfunden, da muß es sich um einen schlechten Scherz handeln! Und doch gibt es seit kurzem etwas - wenn auch nur entfernt - vergleichbares in Filderstadt, sozusagen ein Miniatur-Watt ohne Ebbe und Flut, eine Schlamm- oder Schlickfläche mit kleinen Rinnsalen, die interessante Tierarten anzieht und die dem interessierten Naturbeobachter immer wieder Überraschendes bietet.

Was ist passiert? Wo befindet sich das Naturwunder?

Am 31. August 1995 wurde das Wasser des Flughafen-Stausees (Steppachsee) abgelassen, um das Gewässer umfassend zu sanieren. Durch enteisungsmittelhaltiges Oberflächenwasser aus dem Flughafengelände sowie durch einen Ölunfall während des Flughafenausbaus waren Wasser und Seeschlamm dermaßen verschmutzt, daß ein Sanierungskonzept aufgestellt werden mußte. Nach dem Ablassen des Wassers sollen die Schadstoffe im Schlamm durch Sauerstoffzufuhr abgebaut und dieser dann anschließend, nach mehreren Monaten "Trockenzeit", voraussichtlich im Februar 1996 ausgebaggert werden.

Das wird eine langweilige Zeit werden!

So dachte sich wohl jeder Naturfreund: Kein Wasser mehr, nur eine gähnende, schlammige Leere. Die armen Enten und anderen Wasservögel, wo werden sie nur die monatelange Unterbrechung verbringen? Immerhin ist ja der Flughafen-Stausee ein recht interessanter Ort, an dem sich normalerweise im Herbst und Frühjahr auch seltenere, durchziehende Vögel aufhalten (siehe JAHRESHEFT 1994/95: "VÖGEL ALS HERBSTDURCHZÜGLER UND WINTERGÄSTE").

Aber da geschah Anfang September etwas Überraschendes: Kaum war das Wasser des Sees einigermaßen abgelassen, da stellten sich schon nach zwei Tagen noch nie gesehene Vogelarten am Stausee ein! Watvögel waren es - Vogelarten, die normalerweise am Nordseestrand, im Wattenmeer oder in Sumpfgebieten zuhause sind. Die meist langbeinigen Vögel stocherten mit ihren langen Schnäbeln im Schlamm des Seegrunds und fühlten sich hier wie zuhause - obwohl sie doch nur zufällig im Herbst-Durchzug und aus der "Vogel-Perspektive" erkannt hatten, daß sich ihnen hier ein unerwartetes Nahrungsangebot eröffnet hatte.

Was gab es am Stausee zu sehen?

Zwischen dem 2. und 14. September 1995 beobachtete ich regelmäßig bis zu drei Grünschenkel, die unermüdlich hin- und herrennend nach Futter suchten. Bei Störungen durch neugierige Besucher flogen die taubengroßen, aber langbeinigen Vögel kurz auf und ließen laute, grünspechtartige "kjück-jück"-Rufe ertönen. Am 2. September trippelten auch mehrere Flußuferläufer am etwas trockeneren Gewässerrand entlang. Am Abend des 14. September fand sich ein weiterer seltener Nahrungsgast ein: mit lauten Flötentönen landete ein Großer Brachvogel im schlammigen Seegrund, wo er mit seinem langen Bogenschnabel nach Eßbarem stocherte. Als dann später die Dämmerung hereinbrach und es schließlich fast ganz dunkel wurde, huschten zwei kleine Hühnchen über die Schlammflächen, um rastlos an immer wieder anderen Stellen des Seegrunds nach Nahrung zu suchen; vermutlich handelte es sich um durchziehende Rallen (Tüpfelsumpfhuhn?), die aber in der Dunkelheit nicht mehr eindeutig zu erkennen waren.

Die wertvollste und seltenste Entdeckung am Stausee hatte ich am sonnigen Sonntagmorgen des 17. September 1995 gegen 11 Uhr: ein Schwarzstorch kreiste majestätisch und bei bester Thermik am Himmel über dem Stausee. Er kam aus nördlicher Richtung, segelte mit ausgestrecktem Hals und langgestreckten Beinen minutenlang hoch über Flughafen, Stausee und angrenzenden Feldern, bevor ihn eine Gruppe von fünf ebenfalls kreisenden Mäusebussarden vertrieb und er in südwestlicher Richtung weiterzog. Natürlich war diese Beobachtung nicht ursächlich auf den Stausee oder sein verbliebenes Schlammfeld zurückzuführen. Vielmehr war es eine höchst seltene und zufällige Begegnung mit einer durchziehenden, majestätisch anzusehenden Vogelart, an die man sich noch lange und gerne zurückerinnert und über die deshalb auch hier berichtet werden soll. Was gibt es sonst noch über die Tierwelt am abgelassenen Stausee zu berichten?

Immer wieder kann man in den verbliebenen Pfützen und Rinnsalen vereinzelte Stockenten antreffen. Auch Bachstelzen kommen häufig zu den Schlammflächen, wo es stets etwas Nahrhaftes zu finden gibt. Turmfalken und Mäusebussarde sitzen wie immer am Uferrand an, um in den angrenzenden Feldern den Mäusen nachzustellen. Auch Sperber machen im Herbst Jagd auf vorbeiziehende Stare und verstecken sich dazu im Blattwerk der von der Abholzung verschonten, wenigen Pappeln.

Fledermäuse jagen jetzt nicht mehr so häufig über dem Stausee wie beispielsweise noch im letzten Jahr. Wegen der fehlenden Wasseroberfläche ist das Angebot an Insektennahrung wohl nicht mehr so reichhaltig wie in früheren Jahren, so daß ich nur noch zwei bis drei jagende Fledermäuse pro Abend bestimmen konnte (Abendsegler und Zwergfledermäuse). Über den im Oktober schon ziemlich abgetrockneten Seegrund hoppeln abends sogar Feldhasen, um zu den benachbarten Wiesen zu gelangen und dort grasen zu können.

Was kann man daraus lernen?

Die Natur hat immer wieder Überraschungen für uns bereit. Glaubt man zunächst, daß ein notwendiger menschlicher Eingriff in den Naturhaushalt vorübergehend zu einer Beeinträchtigung der Lebensbedingungen und damit zu einer Arten-Verarmung in diesem Lebensraum führt, so sorgt die Natur andererseits rasch für vorübergehenden, wenn auch zahlenmäßig geringeren Ersatz. Anstelle der wegen des fehlenden Wassers abgewanderten Enten, Zwergtaucher, Bläß- und Teichhühner stellen sich plötzlich und unerwartet andere gefiederte Gäste ein. Strand- und schlammbewohnende Vögel rasten jetzt hier, suchen im abgelassenen Seegrund nach Nahrung, bevor sie wieder gestärkt nach Süden weiterziehen. Wie man sieht: es lohnt sich immer, Augen und Ohren offenzuhalten, die Natur erlaubt uns ganzjährig und überall interessante Beobachtungen.


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