Die Spechte gehören zu den interessantesten Vogelarten überhaupt. Von
den insgesamt neun in Deutschland vertretenen Spechtarten kommen auch
sieben Arten in Filderstadt vor: Bunt-, Mittel- und Kleinspecht,
Schwarz-, Grau- und Grünspecht sowie der Wendehals. Aufgrund ihrer
Lebensweise und ihrer Bedeutung für das Ökosystem lohnt es sich, sich
mit diesen Vügeln näher zu beschäftigen. Die Biotopkartierer
Filderstadt haben deshalb
mit einem zweijährigen Kartierprojekt begonnen,
bei dem das Spechtvorkommen in unseren Obstwiesen und Waldgebieten
untersucht werden soll. Mit diesem Kurzbericht soll über die erste
Kartierphase informiert werden, in der die Filderstädter
Streuobstwiesen während der Brutzeit (März - Juli 1992) beobachtet
wurden.
Aufgaben und Ziele des Projekts
Vorbild für unsere Kartierarbeiten waren zwei Projekte, die in den
letzten Jahren im Südschwarzwald und im Taubertal durchgeführt
wurden. Dabei wurden - mit freiwilligen Helfern - flächendeckende
Spechtbeobachtungen in ausgesuchten Gebieten vorgenommen und die
gesamten Daten anschließend gezielt ausgewertet. In Filderstadt wurde
ähnlich vorgegangen. Das Projekt der Spechtkartierung hat folgende
Ziele:
- Spechte sind besonders geeignete Anzeiger-Arten (Indikatoren) für
baumbestandene Landschaftsgebiete, wobei sie einen bestimmten Anteil
von Alt- und Totholz in ihrem Lebensraum benötigen. Das Vorkommen
von Spechten gibt somit wichtige Hinweise auf Qualität und
Schutzbedürftigkeit von Wäldern und Obstwiesen. Das bedeutet: je mehr
Spechte in einem Gebiet, desto wertvoller und damit erhaltenswerter
ist der bewohnte Lebensraum (Habitat). Die Kartierung hat deshalb zwei
wichtige Ziele: Ermittlung der Struktur bzw. Qualität der
Untersuchungsgebiete sowie Vorschläge zum Erhalt oder zur Verbesserung
der Verhältnisse.
- Spechte zimmern - mit Ausnahme des Wendehalses - ihre Höhlen
selbst. Sie sind damit auch wichtige Quartierbauer für alle anderen,
höhlenbrütenden und nicht selbst höhlenbauenden Vogelarten (Meisen,
Stare usw.), aber auch für Insekten, Fledermäuse und Bilche. Das
Auffinden von Höhlen war somit ein wichtiger Bestandteil unserer
Spechtkartierung.
- Außerhalb der Brutzeit sind die meisten Spechte Einzelgänger. Ein
Teil ihrer Lebensweise ist noch recht wenig bekannt, z.B. die Nutzung
des Reviers nach der Brutzeit, das Zugverhalten der Jungvögel oder
auch die unterschiedliche Nutzung des Nahrungsangebots.
Das Kartierprojekt soll auch dazu Fingerzeige geben.
- Schließlich war auch die Bestandszählung und Bestandsentwicklung
der Spechte in unseren Obstwiesen und Waldgebieten eine wichtige
Aufgabe dieser Spezialkartierung.
Vorgehensweise / Methode
Wie bereits erwähnt, dienten zwei Vorgängerprojekte als Vorbild für
unsere Spechtkartierung. Für unser erstes Teilprojekt wurden sämtliche
größeren Filderstädter Streuobstwiesen in 19 verschiedene
Untersuchungsgebiete eingeteilt und den zur
Verfügung stehenden ehrenamtlichen Mitarbeitern zugewiesen. Teilweise
übernahmen erfahrenere Kartierer mehrere Gebiete, während andere
Gebiete wiederum durch Personengruppen besetzt wurden. Da die
Kartierer einen unterschiedlichen Wissensstand hatten, wurden sie
durch zwei Informationsabende (u.a. mit Dias und Tonbandaufnahmen) auf
das Projekt vorbereitet. Ausgerüstet mit Gebietskarten, teilweise auch
mit Klangattrappen, begann die eigentliche Kartierarbeit: alle
Beobachtungen wurden in die Karten eingezeichnet, bei Bedarf
zusätzlich verbal beschrieben. Pro Untersuchungsgebiet wurden in der
Zeit zwischen März und Juni 1992 mindestens 10 Begehungen je
Teilgebiet angestrebt. Von den 19 freiwillig und unentgeltlich
arbeitenden Kartierern wurden insgesamt 226 Begehungen mit einem
Zeitaufwand von 385 Stunden durchgeführt!
Im Juli, nach Einsammeln der Beobachtungsprotokolle, begann die
umfangreiche Auswertungsarbeit für die Daten der Brutperiode. Folgende
Unterlagen wurden je Teilgebiet erstellt:
- Gebietskarte je Spechtart:
aus den Einzelblättern wurden die Beobachtungen übertragen in
Gebietskarten je Buntspecht, Grünspecht usw. Damit können auf einen
Blick eventuelle Brutreviere erkannt und Flugstraßen, Ruf und
Trommelwarten sowie bevorzugte Nahrungsplätze je Spechtart dargestellt
bzw. ermittelt werden.
- Detaillierte Zusammenstellung:
je Beobachtung werden in Tabellenform die Spechtart, Geschlecht/Stadium,
Datum/Tageszeit, Biotop-Art, Beobachtungsort (Entfernung,
Baumart, Boden, Sonstiges) und die Aktivität (Rufart, Trommeln, Balz,
Fütterung usw.) aufgeführt.
- Summenblatt je Gebiet:
komprimierte Darstellung der Beobachtungen je Tag, Zeitaufwand sowie
Sicht- und Rufkontakte.
Wesentliche Ergebnisse
Für die Auswertung des 1. Untersuchungsabschnitts
(Obstwiesen-Kartierung von März - Juli 1992) wurde eine Menge von
Daten und Informationen zusammengetragen.
Die beiden Übersichten (können hier wegen ihrer Größe von
über 600 KB hier leider nicht angeboten werden!)
Ergebnisse Obstwiesen: Gebiete, Aufwand, Kontakte, Reviere
Ergebnisse Obstwiesen: Beobachtungen je Spechtart
sollen einen ersten Eindruck über die
geleistete Arbeit und die daraus entstandenen Ergebnisse aufzeigen;
sie sollen im 2. Halbjahr 1992 noch durch ergänzende Beobachtungen
fortgeschrieben werden.
Folgende Erkenntnisse halten wir für wichtig:
- Die Teilgebiete sind von unterschiedlicher Struktur und damit auch
von unterschiedlicher Qualität und Artenvielfalt. Auch aus anderen
Untersuchungen (gesamte Vogelwelt, Schmetterlinge usw.) ist bereits
bekannt, daß die Streuobstwiesen am Schönbuchrand - vor allem durch
ihre Waldnähe - wesentlich artenreicher als die Streuobstwiesen der
Filderebene sind. Rechnet man die Gesamtzahl der beobachteten Spechte
um auf Werte je Hektar, so findet man in den Obstwiesen des
Schönbuchrands (Bonlanden/ Plattenhardt) etwa dreimal soviele Spechte
als in den Obstwiesen der Filderebene (Bernhausen, Harthausen,
Sielmingen).
- Der Buntspecht ist natürlich auch in Filderstadt die verbreitetste
Spechtart (53 % aller Beobachtungen). Während sein Anteil am
Schönbuchrand ca. 48 % beträgt, ist er auf der Filderebene mit 74 %
sogar noch wesentlich häufiger vertreten. Das beweist, daß der
Buntspecht am anpassungsfähigsten und am wenigsten spezialisiert ist
und daß er auch in kleineren oder zersiedelten Gebieten noch vertreten
sein kann.
In Bernhausen brütete ein Buntspecht-Paar mitten im Ort!
- Mittel- und Kleinspechte waren in den Obstwiesen nur selten zu
beobachten; vor allem der Mittelspecht bevorzugt bei uns alte
Eichenwälder. Es muß auch berücksichtigt werden, daß diese beiden
Spechtarten heimlicher leben und deshalb schwieriger zu beobachten
sind, was besonders für den Kleinspecht gilt. Es gab nur einen
Brutnachweis des Kleinspechts in Sielmingen.
- Der Grauspecht kommt nur am Schönbuchrand vor (15 % aller
Beobachtungen) . Wie Grünspecht und Wendehals ist er auf Ameisen als
Hauptnahrung angewiesen.
- Überraschend und erfreulich gut hat sich in den letzten Jahren der
Bestand des Grünspechts entwickelt. Nach mehreren kalten Wintern in
den Jahren 1984 - 1986 waren nur noch wenige Grünspechte bei uns zu
sehen; inzwischen wurden sie wieder in beinahe jedem Obstwiesengebiet
beobachtet. Der Anteil der beobachteten Grünspechte beträgt zwar auf
der Filderebene nur 8 %, dagegen am Schönbuchrand stattliche 29 %.
Insgesamt ist der Grünspecht die zweithäufigste Spechtart.
- Leider war die Bestandssituation des Wendehalses im Jahr 1992 sehr
schlecht. Insgesamt gab es nur 8 Einzelbeobachtungen, nur eine belegte
Bruthöhle wurde gefunden. Zum Vergleich: in den Vorjahren brüteten
allein im Gebiet Sandbühl/Herrenhoiz regelmäßig 2 - 3 Paare; auch in
den Sielminger Obstwiesen wurden noch 1987 4 Brutpaare festgestellt.
Ungünstige Witterung kann 1992 nicht der Grund für den Rückgang
gewesen sein. Bleibt zu hoffen, daß es sich nur um eine
Bestandsschwankung handelt und daß sich der Bestand in den nächsten
Jahren wieder erholt.
- Die Zuordnung von Brutrevieren zu den einzelnen Teilgebieten ist nicht
immer einfach. Nur dort, wo belegte Bruthöhlen gefunden wurden, war
dies eindeutig möglich. Andererseits werden gerade die Obstwiesen als
Nahrungsgebiete von solchen Spechten genutzt, die im angrenzenden Wald
brüten; in solchen Fällen ist die Obstwiese dem Brutrevier zuzurechnen
(Faktor 0,5).
- Belegte Bruthöhlen wurden in folgenden Teilgebieten gefunden:
Ortsmitte
Bernhausen, Herrenholz, Sandbühl, Baumwiesen/Bonlanden,
Bechtenrain, Haberschlai, Neugreut/ Löhle, Rohrbach/Weiler.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnten weitere
Brutreviere (vor allem des Buntspechts!) dort bestimmt werden, wo
Jungspechte nach dem Ausfliegen noch mehrmals bei der Fütterung durch
Alttiere beobachtet wurden. Auch anteilige Nahrungsreviere (0,5
Reviere, siehe oben) wurden definiert.
- Die Teilgebiete mit den meisten Specht-Beobachtungen (Anzahl Kontakte,
Anzahl Reviere und Artenvielfalt) sind der Bereich "Baumwiesen,
Bromberg, Mahdenwiesen" sowie das Gebiet um die
"Uhlberghalde". Auch im "Herrenholz", "Sandbühl/Gutenhalde", in den
"Egerten" und "Spitzäckern" sowie im "Haberschlai" gibt es noch einen
erfreulich guten und vielfältigen Spechtbestand. Alle diese Gebiete
haben eines gemeinsam: sie grenzen entweder unmittelbar an den Wald an
oder das nächste Waldgebiet ist nur gering entfernt; damit finden wir
optimale Nahrungsgrundlagen und Brutvoraussetzungen für Spechte vor.
Diese Gebiete sind unbedingt zu pflegen und zu erhalten, und zwar
nicht nur wegen der Spechte, sondern für alle dort vorkommenden
Lebewesen!
- Schlecht bis sehr schlecht sieht es leider in den restlichen
Obstwiesengebieten der Filderebene aus. Es gibt dort nur noch zwei
größere, zusammenhängende Gebiete im "Emerland" in Bernhausen sowie im
"Rohrbach/Weiler" in Sielmingen; das Gebiet im "Emerland" ist aber
bereits stark verarmt. Die anderen Teilgebiete auf den Fildern sind
entweder flächenmäßig stark "geschrumpft" (z.B. Klinkernfeld,
Fehlberg, Hausäcker) oder durch Kleingärten stark zersiedelt
(Bergäcker, Lachenwiesen usw.). Diese Zersiedelung und der damit
verbundene Freizeitbetrieb führen oft zu empfindlichen Störungen (gilt
auch für Gebiete am Schönbuchrand wie Bechtenrain, Egerten, Löhle und
Uhlberghalde).
- Die restlichen Obstwiesen auf der Filderebene benötigen unseren Schutz
und Hilfemaßnahmen noch dringender als die Flächen am Schönbuchrand:
sie sollten unbedingt erhalten und wenn möglich verbessert werden.
Weitere Zersiedelungen oder Rodungen sind zu vermeiden, Abgänge durch
Nachpflanzungen zu ersetzen. Eine Vernetzung dieser Obstwiesen-Inseln,
z.B. durch Anpflanzen einzelner verbindender Baumreihen, wäre
sinnvoll. In jedem Fall gilt es die Streuobstwiesen auch als
traditionelle Kulturlandschaft zu erhalten!
Fazit und Ausblick
Der hier vorgelegte Kurzbericht stellt - wie erwähnt - nur eine erste
Zwischenbilanz dar. Die Ergebnisse der Obstwiesen sollen noch durch
ergänzende Herbst- und Winterbeobachtungen fortgeschrieben und dann
erst abgeschlossen werden. Die Kartierung der Spechte in den
Waldgebieten ist für 1993 vorgesehen und wird in Abstimmung mit der
Forstverwaltung durchgeführt.
Lobenswert und beeindruckend waren in jedem Fall der Idealismus und
die Initiative der ehrenamtlich tätigen 19 Mitarbeiter, die eine
vorbildliche Leistung erbracht haben. Hier waren Kartierer aller
Altersklassen von 17 bis 70 Jahren vertreten, vom Schüler/Studenten
über Berufstätige bis hin zu Rentnern, Männlein und Weiblein ebenso
wie Laien und Experten.
Abschließend die Meinung eines 17-jährigen Mitarbeiters (Schüler):
"Die Kartierarbeit war für mich sehr interessant und lehrreich,
teilweise waren die Tierbeobachtungen, z.B. an Bruthöhlen, richtig
spannend. Man beschäftigt sich mehr mit der Natur und lernt auch die
Bedeutung von Obstwiesen besser kennen. "
Folgende Personen haben an der Spechtkartierung mitgewirkt; Lars
Arnold, David Eggeling, Richard Klenner, Werner Kneule, Manfred Lieb,
Roland Mack, Eberhard Mayer, Gertrud Miehlich, Andrea Müller, Peter
Pfeilsticker, H. Rademacher, Tobias Rausch, Rolf Roth, Bernhard Seel,
Brigitte und Hartmut Spahr, Fabian Traub, Andrea Wagner und Manuel
Werner. Nochmals herzlichen Dank für die Mitarbeit, auch für die
Unterstützung durch ESG und städtisches Umweltschutzreferat sowie für
Meldungen und Hinweise aus der Bevölkerung, wie sie z.B. Herr Günter
Böpple aus Bonlanden an uns weitergab!
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