Aus Umwelt- und NaturschutzEin Wunder der Natur, ganz in unserer Nähe!
Alfred Schumacher |
Wir Menschen hoffen immer auf ein Wunder und sehen nicht, wie viele Wunder in unserer nächsten Umgebung Jahr für Jahr geschehen, ohne von uns überhaupt bemerkt zu werden! Nur ein Beispiel: Das abenteuerliche Leben eines kleinen, bei uns heimischen Schmetterlings, der auch in Filderstadt vorkommende Bläuling "Glaucopsyche nausithous" (alter Name: Maculinea nausithous) mit dem deutschen Namen Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (früher: Schwarzblauer Moorbläuling) (siehe Foto links). Sein Lebensweg, vom Ei, über die Raupe, Larve und Puppe zum Schmetterling: diese Umwandlung, "Metamorphose" genannt, ist ein Krimi oder besser gesagt, eben ein solches Wunder und dieses Wunder spielt sich Jahr für Jahr in unserer unmittelbaren Nähe ab. Auf Bernhäuser, Plattenhardter, Bonländer und Harthäuser Markung von mir aufgenommen und kartiert. Allerdings wird dieses Wunder kaum beachtet wegen der Winzigkeit des Schmetterlings, der etwa die Größe eines Zehnpfennigstücks hat und wegen seines unscheinbaren Aussehens. Auch spielt sich der größte und zeitlich der längste Teil des Wunders unterirdisch ab, daher für uns unsichtbar. Der kleine Schmetterling hat auf den Außenseiten seiner Flügel eine unauffällige dunkelbraune Farbe, was bei der Familie der Bläulinge gar nicht selten ist. Die dunkelbau-schwarz überhauchte Innenseite der Flügel bekommt man bei dem Schmetterling kaum zu Gesicht, wegen seines schnellen Fluges und er legt auch sofort seine Flügel zusammen nach jedem Aufsitzen auf dem großen Wiesenknopf. So bleiben die Innenseiten meist verborgen. Die Flugzeit dieses Moorbläulings ist sehr kurz. Sie dauert gerade mal zirka vier Wochen. Während dieser Zeit, etwa Ende Juli und hauptsächlich im August fliegt er über Feuchtwiesen oder den ungemähten Grabenrändern entlang, welche vom großen Wiesenknopf bewachsen sind, denn ohne Vorkommen des großen Wiesenknopfs sucht man den schwarzen Moorbläuling vergebens. Der große Wiesenknopf ist der Balzplatz des Schmetterlings. Auf ihm findet die Kopulation der beiden Geschlechter statt. Er ist auch der Nektarspender des Moorbläulings und an seinen Blütenköpfchen legen die Weibchen ihre Eier ab. Zudem dient der Fruchtstand vom Großen Wiesenknopf den frisch geschlüpften Räupchen in ihren ersten paar Lebenstagen als Futterpflanze. Sie fressen sich sofort in ein Fruchtknötchen ein, das bis zu ihrer zweiten Häutung als Nahrung ausreicht. Beim Anbohren des zweiten Samenkorns vollzieht sich die dritte Häutung und nach dieser sollte die Raupe eigentlich fast erwachsen sein. So ist es bei den meisten anderen Tagfalterraupen. Hier beginnt das eigentliche Wunder des Glaucopsyche nausithous. Bei seiner vierten Häutung geschieht etwas völlig Unerwartetes. Diese Häutung zum vierten Raupenstadium entläßt ein ganz anderes Tier. Das bisher hellrosa gefärbte weichhäutige Räupchen ändert sich in eine abgeflachte asselförmige winzige Larve, mit lederharter Haut, welche auf dem Rücken mit Borsten, Wülsten, einer Honigdrüse sowie mehrerer Duftdrüsen besetzt ist. Dieses kleine, etwa drei Millimeter lange Tierchen verläßt nun den Großen Wiesenknopf, klettert an dem bis zu nahezu einem Meter hohen Stengel hinunter und bewegt sich in den Grasdschungel hinein. Dort trifft es bald auf Duftmarken der Ameisen, die Todfeinde aller Kleinlebewesen. Diese Ameisen legen Duftstraßen durch das Gewirr der Vegetation an um in ihre Hügel oder Nester zurückzufinden. Spätestens hier müßte die kleine Larve in Panik geraten und die Flucht ergreifen aber das Gegenteil tritt ein, denn es folgt geradewegs diesen Duftstraßen und braucht auch gar nicht lange warten bis es von einer Horde rauher Krieger, den Ameisen überfallen wird. Nun sollte man meinen, es ist aus mit dem kleinen Geschöpf, denn es wird gleich von den Ameisen kräftig in die Zange genommen. Was aber das kleine Räupchen überhaupt nicht beeindruckt, es zuckt nicht einmal zusammen, krümmt sich nicht, es bleibt einfach bewegungslos liegen, denn hier kommt ihm die Umwandlung bei der vierten Häutung zugute, die lederige Haut, welche zugleich auch bis zu zwanzigmal dicker als bei gewöhnlichen Raupen ist, verhindert ein Schmerzempfinden. Deshalb rührt sich das Räupchen bei dem Ameisenbiss überhaupt nicht, was sonst bei keinem anderen Tier, das von Ameisen angegriffen wird, der Fall ist, denn jedes andere Tierchen weiß, daß es hier um sein Leben geht und wehrt sich aus Leibeskräften. Nicht aber das Ameisenbläulings-Räupchen und dies macht die Ameisen stutzig. Sie legen den vermeintlichen Braten auf den Boden. Er wird neugierig betrachtet, betastet, beschnuppert und mit den Fühlern betrillert. Plötzlich geht eine freudige Erregung durch die Ameisenhorde. Sie haben bemerkt, oder glauben wenigstens, daß sie hier etwas ganz besonderes gefunden haben. Der süße Geruch welcher aus den Duftdrüsen des Räupchens strömt macht die Ameisen ganz aufgeregt. Zu allem Überfluß entdecken die Ameisen auch noch die Honigdrüse. Jetzt wird die Raupe gemolken, die ganze Horde macht sich über den süßen Saft her, denn für eine Ameise gibt es nichts Verlockenderes oder besseres als Süßigkeiten und sei es nur der süße Duft. Dieser Schmaus kann sich bis zu einer Stunde lang hinziehen. Dann wird es der Raupe zu dumm, sie richtet sich auf, zieht den Kopf ein und stellt die Süßigkeitsproduktion ein und erstarrt zur Leblosigkeit. Natürlich gibt man als Ameise so ein wertvolles Stück nicht einfach auf. Sofort nimmt eine Ameise mit ihren Zangen die Raupe auf und eilt mit der vermeintlichen Dauerpraline in ihr Nest. Nun hat die Raupe erreicht was sie wollte. Sie ist am Ziel ihrer Träume. Und war sie bereits im Blütenköpfchen des Großen Wiesenknopfs weitgehend verborgen sowie fast sicher vor allen Fressfeinden, kann sie jetzt in absoluter Sicherheit leben. Denn jetzt ist sie umgeben von tausenden wehrhafter Ameisen, welche die Raupe hüten wie ihren Augapfel. Für die nächsten etwa zehn Monate hat die Raupe ausgesorgt. Sie ist im Schlaraffenland, denn rings um sie sind die Eier, Larven und Puppen der Ameisen, die sie sich genüsslich zu Leibe führt und als Gegenleistung den Ameisen süßen Duft und etwas Honigwasser schenkt. Nach der letzten Häutung der Raupe, die jetzt nahezu zwei Zentimeter groß ist, erfolgt nun die Verpuppung. Diese Puppe nimmt keine Nahrung mehr auf und produziert auch keinen Honig mehr, doch die Duftdrüsen arbeiten weiter. Sicherheitshalber und als Abschreckung kann die Puppe aber zirpende Laute von sich geben, welche die Ameisen jetzt auf Distanz halten. Wie sich aber die Falter nach dem Schlüpfen aus der Puppe vor den Angriffen der Ameisen beim Verlassen der Ameisennester schützen, ist bis heute noch ein Rätsel. Hier haben unsere Forscher noch ein gutes Stück Arbeit vor sich. Aber auf jeden Fall haben unsere Ameisenschmetterlinge bewiesen, indem sie ihre Todfeinde, die Ameisen mit List und Tücke (nur ein paar Tröpfchen Zuckersaft und einem süßen Duft) zu ihren Helfern umfunktioniert haben, daß man so Jahrtausende überleben kann! Eine fast unglaubliche aber wahre Geschichte! Denn die Ameisen sind hier voll die Betrogenen. Sie bezahlen mit ihrer eigenen Nachkommenschaft ihre zügellose Begierde auf Süßigkeiten, die zur Haupsache nur aus Duft besteht. Die Raupe des Dunklen Ameisenbläulings kann ohne diese Ameisen nicht leben. Die Ameisen dagegen sehr wohl ohne die Raupen, welche sie selbst als Parasiten in ihr Nest getragen haben. Auch wenn sie noch so gerne Honig trinken und einen betörenden Duft in sich aufnehmen, sie könnten ohne diese Gaben der Raupen leben. Sie brauchen diese nicht!
PS.: Könnten nicht viele begierige Menschen aus dem kleinen Wunder etwas lernen? Ich erinnere an Alkohol, Zigaretten, alle Rausch- und Betäubungsmittel, z.T. Genußmittel und viele Medikamente usw. sind für uns Menschen auch zum großen Teil nutzlos.
Anmerkung 2004: Glaucopsyche nausithous ist streng geschützt nach FFH-Richtlinie Anhang II, IV und in BW auf der Roten Liste als stark gefährdet (Stufe 2) geführt. |