Natur- und Umweltschutz in Filderstadt 2002


Unbekannte Welten:
Die Geheimnisse des Reichenbaches

Carsten Wagner
Apotheker, Biotopkartierer Filderstadt

Die Filderebene mit ihren fruchtbaren Lößböden war schon in der Frühgeschichte eine dicht besiedelte, landwirtschaftlich genutzte Landschaft. Viele archäologische Fundplätze erzählen noch heute davon. Zur Verarbeitung des angebauten Getreides waren wiederum Mühlen notwendig, die auf den wasserarmen Fildern kaum zu betreiben waren. Also baute man die Mühlen an den nächsten "richtigen" Bach, den Reichenbach. Schon 1363, als die Gegend zum Hause Württemberg kam (nicht auszumalen, wie eine Zugehörigkeit zum feindlichen Baden ausgesehen hätte!), zählte man im Tal sieben Mühlen - ein "Siebenmühlental" eben.

Dann, ab dem 17. Jahrhundert, durchschnitt die wichtigste Verkehrsader das Reichenbachtal, die Schweizer Strasse. Sie verband Nord und Süd auf der vielbefahrenen Strecke Frankfurt/ Stuttgart/ Schaffhausen/ Italien. Heute nun ist das Tal mit den inzwischen 13 Mühlen wirtschaftlich wie verkehrstechnisch in Vergessenheit geraten. Es ist zum beliebten Naherholungsgebiet geworden. Über all die Jahrhunderte hat sich eines nur wenig verändert, vielleicht auch, weil es stets übersehen wurde: die Unterwasserwelt des Reichenbaches. Auf einer Fließstrecke von 11 Km zwischen seinem Ursprung am Schmellbach und seiner Mündung in die Aich entwickelt er eine beachtliche Fauna. Wie in jedem lebendigen Bach ändert sich diese Fauna mit dem Verlauf des Baches. Hierbei spielen viele Faktoren eine Rolle:

  • Die Wasserqualität, die sich zwischen Gewässergüteklasse 1 im Oberlauf und Klasse 2 im unteren Bachabschnitt bewegt. Das heißt, daß das Gewässer als sehr gering bis mäßig belastet gilt.
  • Der Gewässergrund ist teilweise sandig, lehmig oder felsig mit guten Unterschlupfmöglichkeiten
  • Der Bach ist stellenweise sehr zugewachsen und somit vor Fressfeinden gut geschützt, an anderen Stellen ist er offen und besonnt
  • Bei Niedrigwasser während trockenen Sommern ist die Wassertiefe nur an bestimmten Stellen, sogenannten Gumpen, ausreichend
  • Wehre, insbesondere das Wehr der Burkhardtsmühle, bilden bedeutende Hindernisse für alle Lebewesen im Bach.

Folgende Tierarten finden im Reichenbach ihren Lebensraum:

Fische:

Schmerle (Noemacheilus barbartulus)

Die Schmerle oder auch Bartgrundel erreicht eine Größe von 12 cm. Mit ihren 6 Bartfäden ist sie ideal an das Tasten im steinigen Untergrund schnellfließender Bäche angepasst. Sie ist ein häufiger Bewohner des Reichenbaches.

Groppe (Cottus gobio)

Die Groppe ist ein 15 cm großer Fisch. Mit ihrem keulenförmigen, schuppenlosen Körper ist sie leicht zu erkennen. Sie stellt sehr hohe Ansprüche an die Qualität des Wassers.

Bachforelle (Salmo trutta)

Als naher Verwandter des Lachses ist die Bachforelle ein Raubfisch, der in klaren Fließgewässern nach Kleintieren jagt. An den roten Punkten auf den Körperseiten ist sie leicht zu erkennen.Die Bachforelle erreicht im Reichenbach in Ausnahmefällen Größen bis weit über 50 cm. Sie wird extensiv genutzt.

Regenbogenforelle (Salmo gairdneri)

Diese aus Amerika eingeführte Forellenart ist weniger gut an das schnellfließende, klare Wasser angepasst als die einheimische Bachforelle. Kennzeichnend für die Bachforelle ist ein langes rotes Band auf beiden Körperseiten.

Bachneunauge (Lampetra planeri)

Mit dem Bachneunauge kommt ein sehr seltenes Kleinod im Reichenbach vor. Der 15 cm lange urtümliche Fisch legt im Frühjahr über 1000 Eier in den Bachgrund. Die blinden Larven brauchen zu ihrer Entwicklung 3-5 Jahre. Dann erfolgt eine sehr schnelle Umwandlung zum fertigen, geschlechtsreifen Tier, das keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Nach dem Ablaichen sterben die erwachsene Neunaugen ab.

Weitere Fischarten:

Neben den oben genannten, regelmäßig vorkommenden Arten werden vom Reichenbach noch einzelne Zufallsfunde, insbesondere im Mündungsbereich, berichtet. Dies sind:

Rotauge (Rutilus rutilus), auch Plötze genannt
Dreistachliger Stichling (Gasterosteus aculeatus)
Gründling (Gobio gobio)
Aland (Leucisus idus)
Karpfen (Cyprinus carpio)

An Krebsen ist mit folgenden Arten zu rechnen:

Steinkrebs (Austropotamobius torrentium)

Die kleinste einheimische Krebsart wird bis zu 8 cm groß. Er ist noch in Restvorkommen in der Aich und ihren Zuflüssen vorhanden.

Edelkrebs (Astacus astacus)

Die größte einheimische Krebsart mit bis zu 20 cm Länge. Das Vorkommen des Edelkrebses im Reichenbach beruht auf Besatzmaßnahmen. Ob und wie sich die beiden Krebsarten hier erhalten können, bleibt schwierig abzuschätzen

Neben den augenscheinlichen Arten gibt es im Reichenbach noch viele Kleintiere, von denen die folgenden Arten als typische Bewohner zu nennen sind:

Bachflohkrebs (Rivulogammarus)
Zuckmücke (Chironomidae)
Eintagsfliege (Ephemeroptera)
Steinfliege (Plecoptera)
Köcherfliege (Limnephilidae)
Schwimmkäfer (Dytiscidae)
Wasserkäfer (Hydrophilidae)
Wenigborster (Oligochaeta)
Rollegel (Erpodella)
Röhrenwurm (Tubifex)
Saitenwurm(Nematomorpha)
Flußnapfschnecke (Ancylus)
Flußmuschel (Unio crassus)

Der Fund von Schalen der Flußmuschel (durch den Verfasser zuletzt 1997) ist insofern erwähnenswert, als die Art im Landkreis Esslingen als erloschen gilt. Allerdings kann man anhand von Schalenfunden nicht sicher auf einen noch lebenden Bestand rückschließen.

Fazit:Das Reichenbachtal konnte sich als besondere Oase im dichtbesiedelten Raum Stuttgart erhalten. Die besondere Fauna des Baches gilt es zu schützen. Es ist daher wichtig, die Einträge von Schadstoffen (Kläranlage Musberg, Deponie Ramsklinge, einzelne Einleitungen, Abraumablagerungen an einigen Mühlen...) weiter zu reduzieren. Die extensive Fischnutzung durch einen Bewohner des Tales (anstatt der Verpachtung der Fischrechte an einen Angelverein) hat sich bewährt und sollte beibehalten werden. Und schließlich sollte der Plan der Stadt Waldenbuch, das Wehr der Burkhardtsmühle mit einer Fischtreppe wieder durchgängig zu gestalten, mit großer Dringlichkeit umgesetzt werden.

Ich danke Herrn Blank von der Fischforschungsstelle BW in Aulendorf, Herrn Dr. Kappus von der Universität Hohenheim und dem Naturschutzbund Leinfelden-Echterdingen für grundlegende Hinweise und Daten. Besonders danke ich den Herren Walter Waidelich (Senior und Junior) von der Firma WW Holz für die Möglichkeit zu intensiven Studien am Reichenbach.


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