In den Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz im Jahr 1993 hat unser Mitbegründer der Biotopkartierer von
Filderstadt, Alfred Schumacher, ausführlich die 15 verschiedenen Orchideenarten vorgestellt, die er in gut zehnjähriger Suche
auf unserer Gemarkung gefunden hatte.
Bisheriger Orchideenbestand:
- Weißes Waldvögelein - Cephalanthera damasonium
- Geflecktes Knabenkraut - Dactylorhiza maculata
- Breitblättriges Knabenkraut - Dactylorhiza majalis
- Braunrote Stendelwurz - Epipactis atrorubens
- Breitblättrige Stendelwurz - Epipactis helleborine
- Müllers Stendelwurz - Epipactis mülleri
- Weiße Sumpfwurz - Epipactis palustris
- Violette Stendelwurz - Epipactis viridiflora (purpurata)
- Mücken-Händelwurz - Gymnadenia conopsea
- Großes Zweiblatt - Listera ovata
- Vogelnestwurz - Neottia nidus-avis
- Bienen-Ragwurz - Ophrys apifera
- Fliegen-Ragwurz - Ophrys insectifera
- Blasses Knabenkraut - Orchis pallens
- Weiße Waldhyazinthe - Platanthera bifolia
Heute, wieder 13 Jahre später, ist es interessant zu sehen, wie sich dieser Bestand in unserer schnelllebigen Zeit
gehalten oder verändert hat. Natürlich spielen auch Klima und Wetter eine entscheidende Rolle beim Wuchs aller Pflanzen.
Nasskalter Herbst oder Frühling und extrem trockener Sommer (wie z.B. 2003) beeinträchtigen das Aufkommen der Keimlinge und
das spätere Wachstum.
Auch der Sturm Lothar hat seine Spuren hinterlassen. Manche Standorte im Wald oder an den Wegrändern wurden durch
Veränderung der Lichtverhältnisse und besonders durch den Abtransport der umgefallenen Bäume durch schweres Gerät schwer
beeinträchtigt. Natürlich erhebt auch diese Betrachtung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Besonders die Waldorchideen
wachsen meist so versteckt, dass sie oft nur durch reinen Zufall entdeckt werden. Die Freude darüber ist dann um so größer.
Von den genannten 15 Orchideen konnten 2 Arten nicht mehr gefunden werden. Die wenigen Fundorte sind anscheinend erloschen.
Sie waren auch 1993 schon fast verschwunden. Es handelt sich um Müllers Stendelwurz (Epipactis mülleri) und das Gefleckte
Knabenkraut (Dactylorhiza maculata). Neu dazugekommen ist das Netzblatt (Goodyera repens).
Netzblatt
Goodyera repens
Benannt wurde es nach dem englischen Naturforscher Goodyear (1592 - 1664).
Neu gefunden wurde das Netzblatt auf unserer Gemarkung als einzigem Standort im Großraum Stuttgart. Der schöne Bestand von
mehr als 100 blühenden und gleichviel sterilen Pflanzen kommt fast immer vor und breitet sich sogar aus. Da es sich um eine
der kleinsten und unscheinbarsten Waldorchideen handelt, ist es gut möglich, dass es noch weitere versteckte Fundorte geben
könnte. Allerdings ist sie streng an einen Kiefernwald gebunden und lebt und stirbt mit dem Rückgang dieser Wälder. Auch der
Aufwuchs von Laubbäumen (Buchen) oder Krautunterwuchs in unmittelbarer Umgebung ist für den Bestand schädlich.
Der deutsche Name "Kriechendes Netzblatt" stammt von den netznervig wintergrünen, spitz eiförmigen Rosettenblättern. Die
Wurzeln mit kriechender Grundachse und Ausläufern bilden oft kleine Teppiche. Die Blütezeit ist von Ende Juni bis Anfang
August. Hauptverbreitung in Deutschland ist die Schwäbische und Fränkische Alb, Thüringen und das Alpengebiet.
Die Gattung Goodyera besteht weltweit aus etwa 80 Arten. Unser Netzblatt ist davon die Einzige in Europa. Eine zweite Art
ist auf der Insel Madeira endemisch, kommt also nur dort vor.
Die anderen Wildorchideen:
Weißes Waldvögelein
Cephalanthera damasonium
Der Bestand dieser Waldorchidee wechselt von Jahr zu Jahr von mehreren hundert bis zu wenigen Exemplaren an verschiedenen
Standorten. Es erscheinen oftmals auch nichtblühende Pflanzen.
Da der Sturm Lothar unsere Kalk-Buchenwälder weitgehend verschont hat, wurden die Standorte auch kaum beschädigt. Dichte
Fichten-Monokulturen kann das Waldvögelein überhaupt nicht besiedeln. Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.
Breitblättriges Knabenkraut
Dactylorhiza majalis
Von der formenreichsten aller Dactylorhiza-Arten (mit fingerförmigen Wurzelknollen) blühen auf Nasswiesen wenige, auf den
Wiesen am Reichenbach zerstreut jedes Jahr mehrere.
Hauptblütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.
Braunrote Stendelwurz
Epipactis atrorubens
Nachlassender Bestand, bedingt wahrscheinlich durch immer stärker und höher wachsendes Blaues Pfeifengras (Molinia caerulea).
Blütezeit: Mitte Juni bis Ende Juli.
Breitblättrige Stendelwurz
Epipactis helleborine
An Wegrändern und im Wald kommt sie zerstreut auf der gesamten Gemarkung vor, einige Standorte sind durch die Nachwirkung
vom Sturm Lothar zum Teil stark geschädigt.
Diese Art ist auch sehr formenreich. Ihre Höhe beträgt 35 - 80 cm, beim Radarturm in Stetten befand sich ein 108 cm hohes
Exemplar.
Die befruchteten Stängel bleiben oft bis zum Schneefall stehen.
Blütezeit: Mitte Juli bis Ende August.
Weiße Sumpfwurz
Epipactis palustris
Einer ihrer bisherigen Standorte trocknet anscheinend mehr und mehr aus, die Anzahl ist daher von Jahr zu Jahr nachlassend.
Blütezeit: Ende Juni bis Ende Juli.
Violette Stendelwurz
Epipactis viridiflora (purpurata)
Diese Waldorchidee, von Alfred Schumacher noch als die häufigst genannte, verschwindet immer mehr. Dichte Gruppen von oft
mehr als 20 Pflanzen sind ganz selten geworden.
Meist trifft man nur noch stark abgefressene Einzelindividuen. Ihre Fortpflanzung ist daher auch stark eingeschränkt.
Sie ist die spätblühenste unserer Orchideen. Blütezeit: Mitte bis Ende August.
Großes Zweiblatt
Listera ovata
Das Große Zweiblatt ist wahrscheinlich die verbreitetste Orchidee von ganz Deutschland. Sie kommt verstreut auch bei uns
im ganzen Gebiet jedes Jahr vor. Blütezeit: Ende Mai bis Mitte Juni.
Bienen-Ragwurz
Ophrys apifera
Die Wintertriebe der Blattrosette täuschen öfters einen schönen kommenden Bestand vor, der dann aber nicht immer eintritt.
Verwilderte Gärten in Südlage und aufgelassene Weinbergterrassen ergeben ab und zu gute Standorte.
Durch die Selbstbestäubung sieht die Bienen-Ragwurz innerhalb einer Population meist ziemlich gleich aus. Blütezeit: Ende
Mai bis Ende Juni.
Mücken-Händelwurz
Gymnadenia conopsea
Schöner Bestand in jedem Jahr.
Blütezeit: Mitte Juni bis Ende Juli.
Vogelnestwurz
Neottia nidus-avis
Diese blattlose gelbbraune Moderpflanze im Buchenwald ist jedes Jahr da. Die vertrockneten Altpflanzen bleiben oft noch
im nächsten Jahr zusammen mit den neuen stehen.
Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.
Fliegen-Ragwurz
Ophrys insectifera
Am einzigen Fundort gibt es jedes Jahr 1 - 5 blühende Pflanzen. Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.
Bleiches Knabenkraut
Orchis pallens
Wie das Netzblatt gibt es im Großraum Stuttgart den einzigen Fundort direkt unmittelbar an unserer Gemarkungsgrenze.
Leider verbuscht er im Wald immer mehr. Von anfangs über 50 blühenden sind in den letzten Jahren nur noch 4 - 7 Pflanzen
übrig geblieben. Blattrosetten gibt es noch einige mehr.
Blütezeit: Mitte April bis Ende Mai.
Weiße Waldhyazinthe
Platanthera bifolia
Versteckt im hohen Pfeifengras hat es auch die Kuckucksblume immer schwerer an das benötigte Licht zu kommen. Der frühere
schöne Bestand lässt auch ziemlich nach.
Zusammenfassung:
Es gibt in unserer großstadtnahen Gemeinde immer noch fast alle Wildorchideen, die Alfred Schumacher 1993 so schön
beschrieben hat. Der Rückgang ist im gesamten Land ähnlich, aber sicher nicht so dramatisch, dass ein völliges Verschwinden
bald eintreten sollte. Ein direkter Schutz, insbesonders der Waldorchideen ist schwer zu bewerkstelligen. Ein artenreicher
Standort (nicht nur von Orchideen!) wird von den Biotopkartierern regelmäßig kontrolliert und jährlich einmal gepflegt.
|