Natur- und Umweltschutz in Filderstadt 2007


Wildorchideen in Filderstadt

Günther Holl
Biotopkartierer Filderstadt

In den Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz im Jahr 1993 hat unser Mitbegründer der Biotopkartierer von Filderstadt, Alfred Schumacher, ausführlich die 15 verschiedenen Orchideenarten vorgestellt, die er in gut zehnjähriger Suche auf unserer Gemarkung gefunden hatte.

Bisheriger Orchideenbestand:

  • Weißes Waldvögelein  - Cephalanthera damasonium
  • Geflecktes Knabenkraut  - Dactylorhiza maculata
  • Breitblättriges Knabenkraut  - Dactylorhiza majalis
  • Braunrote Stendelwurz  - Epipactis atrorubens
  • Breitblättrige Stendelwurz  - Epipactis helleborine
  • Müllers Stendelwurz  - Epipactis mülleri
  • Weiße Sumpfwurz  - Epipactis palustris
  • Violette Stendelwurz  - Epipactis viridiflora (purpurata)
  • Mücken-Händelwurz  - Gymnadenia conopsea
  • Großes Zweiblatt  - Listera ovata
  • Vogelnestwurz  - Neottia nidus-avis
  • Bienen-Ragwurz  - Ophrys apifera
  • Fliegen-Ragwurz  - Ophrys insectifera
  • Blasses Knabenkraut  - Orchis pallens
  • Weiße Waldhyazinthe  - Platanthera bifolia

Heute, wieder 13 Jahre später, ist es interessant zu sehen, wie sich dieser Bestand in unserer schnelllebigen Zeit gehalten oder verändert hat. Natürlich spielen auch Klima und Wetter eine entscheidende Rolle beim Wuchs aller Pflanzen. Nasskalter Herbst oder Frühling und extrem trockener Sommer (wie z.B. 2003) beeinträchtigen das Aufkommen der Keimlinge und das spätere Wachstum.

Auch der Sturm Lothar hat seine Spuren hinterlassen. Manche Standorte im Wald oder an den Wegrändern wurden durch Veränderung der Lichtverhältnisse und besonders durch den Abtransport der umgefallenen Bäume durch schweres Gerät schwer beeinträchtigt. Natürlich erhebt auch diese Betrachtung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Besonders die Waldorchideen wachsen meist so versteckt, dass sie oft nur durch reinen Zufall entdeckt werden. Die Freude darüber ist dann um so größer.

Von den genannten 15 Orchideen konnten 2 Arten nicht mehr gefunden werden. Die wenigen Fundorte sind anscheinend erloschen. Sie waren auch 1993 schon fast verschwunden. Es handelt sich um Müllers Stendelwurz (Epipactis mülleri) und das Gefleckte Knabenkraut (Dactylorhiza maculata). Neu dazugekommen ist das Netzblatt (Goodyera repens).

Netzblatt
Goodyera repens

Benannt wurde es nach dem englischen Naturforscher Goodyear (1592 - 1664). Neu gefunden wurde das Netzblatt auf unserer Gemarkung als einzigem Standort im Großraum Stuttgart. Der schöne Bestand von mehr als 100 blühenden und gleichviel sterilen Pflanzen kommt fast immer vor und breitet sich sogar aus. Da es sich um eine der kleinsten und unscheinbarsten Waldorchideen handelt, ist es gut möglich, dass es noch weitere versteckte Fundorte geben könnte. Allerdings ist sie streng an einen Kiefernwald gebunden und lebt und stirbt mit dem Rückgang dieser Wälder. Auch der Aufwuchs von Laubbäumen (Buchen) oder Krautunterwuchs in unmittelbarer Umgebung ist für den Bestand schädlich.

Der deutsche Name "Kriechendes Netzblatt" stammt von den netznervig wintergrünen, spitz eiförmigen Rosettenblättern. Die Wurzeln mit kriechender Grundachse und Ausläufern bilden oft kleine Teppiche. Die Blütezeit ist von Ende Juni bis Anfang August. Hauptverbreitung in Deutschland ist die Schwäbische und Fränkische Alb, Thüringen und das Alpengebiet.

Die Gattung Goodyera besteht weltweit aus etwa 80 Arten. Unser Netzblatt ist davon die Einzige in Europa. Eine zweite Art ist auf der Insel Madeira endemisch, kommt also nur dort vor.

Die anderen Wildorchideen:

Weißes Waldvögelein
Cephalanthera damasonium

Der Bestand dieser Waldorchidee wechselt von Jahr zu Jahr von mehreren hundert bis zu wenigen Exemplaren an verschiedenen Standorten. Es erscheinen oftmals auch nichtblühende Pflanzen. Da der Sturm Lothar unsere Kalk-Buchenwälder weitgehend verschont hat, wurden die Standorte auch kaum beschädigt. Dichte Fichten-Monokulturen kann das Waldvögelein überhaupt nicht besiedeln. Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.

Breitblättriges Knabenkraut
Dactylorhiza majalis

Von der formenreichsten aller Dactylorhiza-Arten (mit fingerförmigen Wurzelknollen) blühen auf Nasswiesen wenige, auf den Wiesen am Reichenbach zerstreut jedes Jahr mehrere. Hauptblütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.

Braunrote Stendelwurz
Epipactis atrorubens

Nachlassender Bestand, bedingt wahrscheinlich durch immer stärker und höher wachsendes Blaues Pfeifengras (Molinia caerulea). Blütezeit: Mitte Juni bis Ende Juli.

Breitblättrige Stendelwurz
Epipactis helleborine

An Wegrändern und im Wald kommt sie zerstreut auf der gesamten Gemarkung vor, einige Standorte sind durch die Nachwirkung vom Sturm Lothar zum Teil stark geschädigt. Diese Art ist auch sehr formenreich. Ihre Höhe beträgt 35 - 80 cm, beim Radarturm in Stetten befand sich ein 108 cm hohes Exemplar. Die befruchteten Stängel bleiben oft bis zum Schneefall stehen. Blütezeit: Mitte Juli bis Ende August.

Weiße Sumpfwurz
Epipactis palustris

Einer ihrer bisherigen Standorte trocknet anscheinend mehr und mehr aus, die Anzahl ist daher von Jahr zu Jahr nachlassend. Blütezeit: Ende Juni bis Ende Juli.

Violette Stendelwurz
Epipactis viridiflora (purpurata)

Diese Waldorchidee, von Alfred Schumacher noch als die häufigst genannte, verschwindet immer mehr. Dichte Gruppen von oft mehr als 20 Pflanzen sind ganz selten geworden. Meist trifft man nur noch stark abgefressene Einzelindividuen. Ihre Fortpflanzung ist daher auch stark eingeschränkt. Sie ist die spätblühenste unserer Orchideen. Blütezeit: Mitte bis Ende August.

Großes Zweiblatt
Listera ovata

Das Große Zweiblatt ist wahrscheinlich die verbreitetste Orchidee von ganz Deutschland. Sie kommt verstreut auch bei uns im ganzen Gebiet jedes Jahr vor. Blütezeit: Ende Mai bis Mitte Juni.

Bienen-Ragwurz
Ophrys apifera

Die Wintertriebe der Blattrosette täuschen öfters einen schönen kommenden Bestand vor, der dann aber nicht immer eintritt. Verwilderte Gärten in Südlage und aufgelassene Weinbergterrassen ergeben ab und zu gute Standorte. Durch die Selbstbestäubung sieht die Bienen-Ragwurz innerhalb einer Population meist ziemlich gleich aus. Blütezeit: Ende Mai bis Ende Juni.

Mücken-Händelwurz
Gymnadenia conopsea

Schöner Bestand in jedem Jahr. Blütezeit: Mitte Juni bis Ende Juli.

Vogelnestwurz
Neottia nidus-avis

Diese blattlose gelbbraune Moderpflanze im Buchenwald ist jedes Jahr da. Die vertrockneten Altpflanzen bleiben oft noch im nächsten Jahr zusammen mit den neuen stehen. Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.

Fliegen-Ragwurz
Ophrys insectifera

Am einzigen Fundort gibt es jedes Jahr 1 - 5 blühende Pflanzen. Blütezeit: Mitte Mai bis Mitte Juni.

Bleiches Knabenkraut
Orchis pallens

Wie das Netzblatt gibt es im Großraum Stuttgart den einzigen Fundort direkt unmittelbar an unserer Gemarkungsgrenze. Leider verbuscht er im Wald immer mehr. Von anfangs über 50 blühenden sind in den letzten Jahren nur noch 4 - 7 Pflanzen übrig geblieben. Blattrosetten gibt es noch einige mehr. Blütezeit: Mitte April bis Ende Mai.

Weiße Waldhyazinthe
Platanthera bifolia

Versteckt im hohen Pfeifengras hat es auch die Kuckucksblume immer schwerer an das benötigte Licht zu kommen. Der frühere schöne Bestand lässt auch ziemlich nach.

Zusammenfassung:

Es gibt in unserer großstadtnahen Gemeinde immer noch fast alle Wildorchideen, die Alfred Schumacher 1993 so schön beschrieben hat. Der Rückgang ist im gesamten Land ähnlich, aber sicher nicht so dramatisch, dass ein völliges Verschwinden bald eintreten sollte. Ein direkter Schutz, insbesonders der Waldorchideen ist schwer zu bewerkstelligen. Ein artenreicher Standort (nicht nur von Orchideen!) wird von den Biotopkartierern regelmäßig kontrolliert und jährlich einmal gepflegt.


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