Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz 1998/1999
Artenschutzprobleme oder was ist wichtiger:
Eule oder Hornisse?
Eberhard Mayer
Biotopkartierer Filderstadt
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In der Theorie . . .
ist eigentlich alles ziemlich einfach:
Artenschützer, wie z.B. die Freunde aus der
örtlichen Biotopkartiergruppe in Filderstadt, die Mitarbeiter/innen
des Umweltschutzreferats und viele andere amtliche und ehrenamtliche
Helfer schützen bedrohte Tier- und Pflanzenarten.
Sie fördern seltene Vogelarten durch Bereitstellung von Nisthilfen,
schützen Fledermäuse vor Verfolgung, helfen gefährdeten
Amphibien und Reptilien, sichern Biotope für Schmetterlinge
und andere Insektenarten, erhalten und pflegen Orchideen-Standorte
und Feuchtstellen, und ... und ... und ....
In der Praxis . . .
sieht aber manches ganz anders aus.
Man kann eben nicht nur Vögel schützen und dabei die
Auswirkungen auf andere Tierarten großzügig übersehen.
Man kann auch nicht einseitig bestimmte Pflanzenarten fördern
und dadurch in Kauf nehmen, daß sich ein Lebensraum für
andere Pflanzen und Tiere, die ebenfalls bedroht oder gar geschützt
sind, nachhaltig verändert. Ein ähnliches Problem stellte
sich uns im Sommer 1998, und das geschah so:
Am 16. Juni 1998 . . .
rief mich der Hobbylandwirt Siegbert
Maier an und teilte mir ganz aufgeregt mit, daß in seiner
Feldscheune in Plattenhardt eine Schleiereule brüte
und daß er bereits ein Gelege mit 3 Eiern vorgefunden habe.
Zur Vorgeschichte:
Der große und schwere Nistkasten wurde 1990 durch die Biotopkartiergruppe
in der Scheune montiert, nachdem hier mehrfach Turmfalken an der
Außenseite des Gehöfts gebrütet hatten. Zwar nutzten
daraufhin immer wieder Schleiereulen die Kiste als Tageseinstand,
es dauerte aber bis zum Frühjahr 1996, bis endlich eine Eulenbrut
stattfand. Die Freude war aber nur von kurzer Dauer: von den 6
Eiern wurden nur 4 ausgebrütet; nacheinander wurden alle
4 Jungvögel und sogar 1 Altvogel tot im Kasten oder in der
Scheune aufgefunden. Die Todesursache blieb ungeklärt: äußere
Verletzungen waren nicht zu erkennen, so daß eine Vergiftung
als wahrscheinlichste Annahme galt.
Die Freude unseres Landwirts und auch
die eigene Freude war also verständlich. Endlich wieder eine
Brut, und hoffentlich klappt dieses Mal alles viel besser mit
der "Nachwuchsförderung"! Wir verabredeten uns
so, daß wir die Eulen in nächster Zeit beim Brutgeschäft
nicht stören wollten und daß wir frühestens in
4 Wochen wieder eine Kontrolle vornehmen . . .
Am 2. August 1998 . . .
rief mich Siegbert Maier wieder an.
Er war noch glücklicher als einige Wochen zuvor und sein
Stolz war nicht ohne Grund: vor seinem geplanten Urlaubsbeginn
hatte er noch kurz in den Nistkasten geschaut und dabei vier bereits
geschlüpfte Jungeulen festgestellt. Wir waren nun zuversichtlich,
daß wir 1998 einen größeren Bruterfolg als zwei
Jahre zuvor erwarten konnten und einigten uns darauf, die nächste
Kontrolle nach seiner Urlaubsrückkehr in drei Wochen vorzunehmen
. . .
Am 25. August 1998 . . .
gingen wir abends gemeinsam zur Feldscheune
- in freudiger Erwartung und ziemlich aufgeregt. Als wir das Scheunentor
öffneten und zum Einflugloch hochblickten, stockte uns der
Atem. Dort oben herrschte reger Flugverkehr, aber nicht von und
mit Schleiereulen, sondern mit kleineren "Flugzeugen",
die wir ganz und gar nicht erwartet hatten: es handelte sich um
ganze Scharen von Hornissen, die pausenlos in den
Nistkasten hinein- und wieder herausflogen.
"Was tun?" fragten wir uns,
denn wir wollten natürlich wissen, wie es um unsere Schleiereulen
stand. Gleichzeitig war uns aber auch klar, daß die Öffnung
der Holzkiste zu Kontrollzwecken eine nicht ganz ungefährliche
Angelegenheit werden könnte, wenn nämlich die Hornissen
sich durch unsere Störung bedroht fühlen würden.
Nachdem wir im Innern der Scheune eine Leiter an die Holzkiste
gestellt hatten und uns vorsichtig annäherten, öffneten
wir den "brummenden" Kistendeckel ganz behutsam um einen
kleinen Spalt und entdeckten folgendes: mehrere junge Schleiereulen
(vier oder fünf?) saßen eng zusammengekauert in der
linken Ecke des Kastens - den meisten Platz in der Holzkiste nahm
aber ein riesiges Hornissennest ein, das von der gegenüberliegenden
Ecke aus in den "Wohnraum" hineinragte. Schnell schlossen
wir wieder den Nistkasten und fragten uns voller Sorge: was wird
jetzt aus den Eulen? Sind sie durch die Hornissen gefährdet?
Wenn ja, können wir die Eulen retten, ohne daß wir
selbst oder die Hornissen Schaden nehmen?
Wir beschlossen, das Problem am folgenden
Tag mit Fachleuten zu besprechen und danach eventuelle Sofort-Maßnahmen
zu ergreifen, denn die Zeit drängte . . .
Der 26. August 1998 . . .
war tagsüber ausgefüllt mit
Telefonaten, Besprechungen und Terminabsprachen. Informiert und
um Mithilfe gebeten wurden das örtliche Umweltschutzreferat
(Frau Krüger), die "Artenschutzgruppe Schleiereule"
im Bezirk Esslingen-Nürtingen-Filder (Herr Breuninger), die
Untere Naturschutzbehörde beim Landratsamt Esslingen (Herr
Blanz) und die durch das Landratsamt hinzugezogene Hornissen-Fachfrau
bzw. Hornissenumsiedlerin (Frau Weber). Die Experten waren sich
zwar nicht völlig sicher, sie vermuteten aber, daß
die Eulen aus folgenden Gründen gefährdet waren:
- Der starke, evtl. noch zunehmende Ein-
und Ausflug der Hornissen könnte die dadurch ebenfalls gefährdeten
Altvögel davon abhalten, die Jungen weiterzufüttern;
diese wären dann hilflos dem Hungertod ausgeliefert.
- Je älter und größer
die Jungvögel werden, umso aktiver werden sie im Nistkasten
und am Einflugloch. Flügelschlagende Eulen könnten aber
die Hornissen zu Attakken provozieren, die für die Jungen
tödlich enden könnten.
- Es war nicht auszuschließen,
daß das Hornissennest noch weiter wachsen und damit den
Jungvögeln den dringend benötigten Bewegungsraum im
Nistkasten noch weiter einschränken könnte.
Aus diesen Gründen sprachen
sich die Beteiligten dafür aus, daß dem Eulennachwuchs
auf jeden Fall geholfen werden müsse;
schließlich stellen Schleiereulen in Filderstadt eine Rarität
dar und gelten nach einigen "mageren" Brutjahren als
absolut "förderungswürdig". Hier aber begann
der Interessenskonflikt: natürlich war allen bekannt und
bewußt, daß auch die Hornissen als geschützte
Tierart keine Nachteile erleiden dürfen und vom Schutzwert
her genauso hoch einzustufen sind! Man einigte sich deshalb darauf,
daß wegen der gebotenen Eile sich alle obengenannten Beteiligten
abends am "Tatort" treffen und vor Ort eine Lösung
des Artenschutzkonflikts suchen sollen. Vorsichtshalber wurde
bei der Greifvogel-Aufzuchtstation in Mössingen nachgefragt,
ob eine eventuelle Einlieferung und Aufzucht von Jungeulen möglich
ist (Ergebnis: positiv!).
Am Abend des 26. August 1998 . .
versammelten sich sieben Personen an
der Feldscheune, um das "Problem" zu lösen:
- War die nach der ROTEN LISTE DER
GEFÄHRDETEN VOGELARTEN BADEN-WÜRTTEMBERGS als "schonungsbedürftige
Art" eingestufte Schleiereule schützenswerter
oder
- war die nach dem BUNDESARTENSCHUTZGESETZ
seit 1987 unter Schutz gestellte Hornisse höherwertig
einzuordnen?
Natürlich wurde die Schutzbedürftigkeit
beider Tierarten als gleichrangig betrachtet; hinzu kommt, daß
die Eulen als Mäusejäger und die Hornissen als Feind
von Obstbau- und Forstschädlingen für Land- und Forstwirtschaft
gleichermaßen nützlich sind. Als Lösung kamen
deshalb nur zwei Alternativen in Frage:
- Lösung 1:
Das Hornissenvolk wird durch die anwesende Hornissenfachfrau in
einen mitgebrachten Kasten umgesiedelt und in der Nähe der
Scheune untergebracht; die Jungvögel verbleiben im Nistkasten
und können ungestört gefüttert werden und sich
weiterentwickeln.
-
Lösung 2:
Die Jungeulen werden aus dem Nistkasten entnommen und in die Aufzuchtstation
gebracht; das Hornissenvolk verbleibt unbehelligt in der Holzkiste.
Nachdem sich die Hornissenumsiedlerin
und der Schleiereulen-Experte mit Schutzanzügen und -masken
ausgestattet hatten, begann die spannende Hilfsaktion. Schnell
stellte sich heraus, daß an diesem kühlen Abend mit
relativ starkem und kaltem Wind wenig Hornissen-Flugverkehr herrschte.
Wir entschlossen uns deshalb nach Öffnung der Holzkiste und
auf Empfehlung von Frau Weber kurzfristig zu Lösung
2, also zur Umsiedlung der jungen Schlei-ereulen.
Nach weniger als 10 Minuten waren alle Jungvögel in einer
großen Kiste verfrachtet: zu unserer großen Überraschung
stellte sich heraus, daß insgesamt acht Jungeulen
- eine erfreulich hohe Zahl! - im Nistkasten wohnten und sich
bisher in einem erstaunlich guten Ernährungs- und Gesundheitszustand
befanden. Die größten Vögel waren etwa vier Wochen
alt, das jüngste Geschwister war noch winzig und dunenweiß.
Schnell machten wir noch einige Fotos und dann gingen die Plattenhardter
Eulen auf die Reise zur Aufzuchtstation nach Mössingen, wo
sie noch am selben Abend durch den Artenschutzbeauftragten des
Landratsamts eingeliefert wurden.
Im September 1998 . . .
besuchten wir unsere Sorgenkinder, also
die jungen Schleiereulen, insgesamt dreimal in ihrem neuen Domizil
in Mössingen. Die dortige Aufzuchtstation (ZENTRUM FÜR
VÖGEL GEFÄHRDETER ARTEN) widmet einen Großteil
ihrer Zeit für die medizinische Versorgung und Therapie verletzter
oder für die Aufzucht und Pflege beschlagnahmter Vögel,
um sie nach entsprechender Vorbereitung und Gewöhnung wieder
in die Freiheit zu entlassen.
Wir konnten uns davon überzeugen,
daß die Eulen fachmännisch und artgerecht gehalten
und aufgezogen wurden. Alle acht Tiere gediehen prächtig
und hatten schon bald ihre letzten Dunenfedern abgelegt. Sie sahen
gesund und gutgenährt aus und verbrachten die Tageszeit in
einer dunklen Ecke ihrer Voliere oder im Nistkasten. Behutsam
wurden sie an ein selbständiges Leben in Freiheit vorbereitet
und gewöhnt, denn sie sollten ja noch vor dem ersten Wintereinbruch
freigelassen werden.
Wir konnten uns mit den Betreuern und
mit dem Leiter der Aufzuchtstation unterhalten und legten dann
auch gemeinsam fest, daß wir die Schleiereulen doch nicht
- wie ursprünglich geplant - in Filderstadt auswildern, sondern
in Mössingen entfliegen lassen. Drei Gründe sprachen
nach Ansicht der Experten dafür:
- die Vögel hatten sich die Umgebung
in Mössingen eingeprägt und sich an die dortigen Landschaftsverhältnisse
gewöhnt;
- nach der Freilassung beginnt für
die unerfahrenen Jungvögel der schwierigste Lebensabschnitt,
nämlich das selbständige Leben und die "Eigenversorgung"
in Freiheit. Bei einer Freilassung in Mössingen besteht in
der Anfangsphase noch die Möglichkeit, daß die Jungeulen
in die Umgebung der Aufzuchtstation zurückkehren, um dort
Nahrungsengpässe für eine Übergangszeit "zu
überbrücken";
- bei einer Auswilderung in Filderstadt
würden die Jungvögel mit großer Sicherheit nicht
dort verbleiben können. Die reviertreuen Altvögel würden
sie vertreiben mit der Folge, daß sie sich irgendwo im Umkreis
von etwa 20 - 50 km niederlassen würden. Die Überlebenschancen
der jungen Schleiereulen wären in Filderstadt und Umgebung
ohnehin geringer als in Mössingen (Problem Eigenversorgung/
Nahrungsengpässe - siehe oben).
Am 13. Oktober 1998 . . .
war es dann soweit: unsere Eulen wurden
am Abend in Mössingen in die Freiheit entlassen. Beringt
und unter Aufsicht der Betreuer verließen sie die Aufzuchtstation,
die ihre zweite Heimat geworden war. Immer wieder kehrten in den
nächsten Tagen einzelne Vögel in die Nähe der Station
zurück, um sich noch "auf bequemere Art" mit Nahrung
zu versorgen. Bisher gab es Gott sei Dank noch keine Verlustmeldungen
. . .
Resumee . . .
Alle an der Artenschutz-Aktion
Beteiligten hoffen, daß sie sich richtig verhalten haben
und daß die Umsiedlung, Aufzucht und Auswilderung in der
Pflegestation das Leben der jungen Schleiereulen sicherer gemacht
hat als das ungewisse Verbleiben in der unmittelbaren Nachbarschaft
des Hornissenvolks. In der Natur, also "im richtigen Leben",
gibt es eben immer wieder Überraschungen, auf die auch die
Artenschützer nicht unbedingt ausreichend vorbereitet sind
und wo schnelle Entscheidungen gefragt werden. In jedem Fall haben
wir versucht, den Konflikt zwischen zwei bedrohten Tierarten zufriedenstellend
für beide Seiten zu lösen.
Zum Schluß noch eine Bitte:
die Aufzuchtstation in Mössingen
ist eine sehr sinnvolle und interessante Einrichtung, die auch
regelmäßig bei freiem Eintritt besucht werden kann
( Mo - Fr von 8 Uhr bis 17 Uhr, im Sommerhalbjahr auch sonntags
von 10 Uhr bis 16 Uhr). Als Träger fungiert der NABU (Naturschutzbund
Deutschland) mit den Kreisverbänden RT, TÜ und BL. Über
die dortigen Aktivitäten wurde auch bereits im Fernsehen
berichtet. Ein großer Teil des Unterhalts wird durch Eigenleistung
und ehrenamtliche Helfer bestritten; über Spenden oder einen
Beitritt zum Förderverein freuen sich die Betreiber. Geleitet
wird die Station durch Experten, die u.a. in der Vogelschutzwarte
Radolfzell ausgebildet wurden. Verletzte, hilflos aufgefundene
oder aus dem Nest gefallene Vögel aller heimischen Arten
können in der Station eingeliefert werden. Kontaktadresse:
Zentrum für Vögel
gefährdeter Arten
Ziegelhütte
72116 Mössingen
Telefon: 07473 / 1022
Telefax: 07473 / 21181
Anfahrt:
auf der B27 über Tübingen, Dußlingen nach Ofterdingen.
Nach Ortsende links abbiegen und weiter in Richtung Mössingen.
Den Ort durchfahren und den Wegweisern nach Talheim und Mägerkingen
folgen. 1 - 2 km nach Mössingen erreicht man die Ziegelhütte
mit dem ausgeschilderten Vogelschutzzentrum.
Anmerkung:
Falls wir mit diesem Bericht Ihr Interesse
am Artenschutz und speziell an den beiden bedrohten Tierarten
Schleiereule und Hornisse geweckt haben, weisen wir Sie auf unsere
Schriftenreihe FILDERSTÄDTER MITTEILUNGEN AUS UMWELT-
UND NATURSCHUTZ (Naturkundliche Jahreshefte) hin. Alljährlich
erscheinen darin Beiträge über gefährdete einheimische
Tier- und Pflanzenarten, unter anderem:
1991:
Schleiereulen - auch in Filderstadt bedroht (von E. Mayer)
1992:
Hornissen - zu Unrecht verfolgt (von A. Wagner).